Weitergehende Kritik an der Nominierung zweier Kandidatinnen für das Amt als Richterinnen am Bundesverfassungsgericht
- Martin Döhring
- vor 16 Stunden
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Einleitung
Es ist das Recht und die Pflicht jeder demokratischen Öffentlichkeit, Personalvorschläge für das höchste deutsche Gericht kritisch zu hinterfragen. Dies gilt umso mehr, wenn Kandidatinnen oder Kandidaten durch bestimmte Positionierungen Zweifel an ihrer verfassungsdogmatischen Klarheit oder an ihrer Unabhängigkeit vom politischen Mainstream aufkommen lassen. Meine Kritik richtet sich in diesem Zusammenhang gegen die Nominierung von Frau Prof. Frauke Brosius-Gersdorf sowie Frau Prof. Ann-Kathrin Kaufhold. Dabei ist der Maßstab nicht parteipolitischer Natur, sondern verfassungsrechtlich-prinzipiell.
I. Zur Kritik an Frau Prof. Gersdorf (Eheleute Gersdorf): Unzureichende Verfassungsprüfung der Impfpflichtdebatte
Frau Gersdorf und ihr Ehemann, beide einflussreiche Stimmen in der deutschen Rechtswissenschaft, haben sich im Zuge der COVID-19-Pandemie zur verfassungsrechtlichen Zulässigkeit einer Impfpflicht geäußert. Diese Äußerungen bleiben in ihrer juristischen Substanz jedoch weit hinter dem verfassungsrechtlich gebotenen Niveau zurück.
Hauptkritikpunkte:
Untauglichkeit des Gesetzes zur Zweckerreichung: Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts muss jedes Gesetz einem legitimen Zweck dienen und geeignet, erforderlich und angemessen sein (Verhältnismäßigkeitsprinzip). Bei der Impfpflicht gegen COVID-19 stellte sich spätestens mit der Omikron-Variante ernsthaft die Frage nach der Geeignetheit. Wenn ein Gesetz seinen Zweck objektiv nicht erreichen kann – etwa weil die Impfung keine sterile Immunität gewährleistet – ist es verfassungsrechtlich unzulässig, unabhängig vom politischen Willen.
Anbiederung an Exekutivpolitik: Eine Nominierung zur Verfassungsrichterin setzt ein hohes Maß an staatspolitischer Distanz voraus. Wer sich in Zeiten hoher politischer Aufladung durch juristisch schwach begründete Stellungnahmen als Mitvollzugsinstanz der Exekutive darstellt, disqualifiziert sich zumindest partiell als neutrale Verfassungsinstanz.
II. Zur Kritik an Frau Prof. Dr. Ann-Kathrin Kaufhold: Irritierende Positionierung zu Vergesellschaftung nach Art. 15 GG
Die Debatte um die Möglichkeit einer „Vergesellschaftung“ von Immobilienkonzernen im Sinne von Artikel 15 GG wurde in den vergangenen Jahren durch verschiedene juristische Gutachten begleitet. Frau Prof. Kaufhold hat sich dabei durch Medienbeiträge und wissenschaftliche Arbeiten zu Wort gemeldet, die mindestens als unvollständig oder verharmlosend gegenüber den verfassungsrechtlichen Hürden solcher Eingriffe erscheinen.
Hauptkritikpunkte:
Verfassungsdogmatische Irreführung der Öffentlichkeit: Die suggerierte Möglichkeit, mittels Artikel 15 GG Eigentum an Immobilienkonzernen in Gemeineigentum zu überführen, erweckt in der Öffentlichkeit Erwartungen, die verfassungsrechtlich kaum erfüllbar sind. Artikel 15 GG eröffnet keine Generalermächtigung für wirtschaftspolitische Experimente. Jeder Eingriff bedarf einer eigenen gesetzlichen Grundlage, eines konkreten Gemeinwohlzwecks und darf nicht gegen die grundgesetzlich geschützte Eigentumsordnung nach Artikel 14 GG verstoßen.
Unverhältnismäßigkeit und ökonomische Inkompetenz: Eine Vergesellschaftung wäre nur zulässig, wenn die privatwirtschaftliche Bewirtschaftung nachweislich versagt – etwa bei Marktversagen oder systemischer Dysfunktion. Ein bloßes politisches Unbehagen an Gewinnorientierung genügt nicht. Die Vergesellschaftung eines funktionierenden Unternehmens, das marktkonform Wohnraum bereitstellt und Steuern zahlt, wäre ökonomisch kontraproduktiv und rechtlich hoch problematisch.
Missachtung der Erforderlichkeit eines erfüllbaren Gesetzeszwecks: Der Gesetzeszweck darf nicht „Vergesellschaftung um der Vergesellschaftung willen“ sein. Ein solcher Selbstzweck wäre verfassungswidrig, weil er keinen funktionalen Nutzen für die Allgemeinheit beweist. Die Gefahr eines normativen Rückfalls in kontraktlose Zustände – also in rechtsfreie oder willkürhafte Umverteilung – ist real und sollte im Lichte geschichtlicher Erfahrungen nicht unterschätzt werden.
III. Zur Systemfrage: Faschismus und Kontraktlosigkeit
Faschismus muss nicht mit äußerlich brutalen Symbolen auftreten. Er beginnt da, wo sich exekutive Wirkmacht von rechtlicher Bindung entkoppelt. Das Wesen des freiheitlichen Rechtsstaates besteht darin, dass jede staatliche Handlung – auch durch das Bundesverfassungsgericht – durch Gesetz und Vertrag legitimiert sein muss. Die politische Tendenz zur Nivellierung, zur Unbestimmtheit von Normen oder zur funktionalen Entkernung der Eigentumsgarantie läuft Gefahr, die Grundpfeiler einer kontraktbasierten Ordnung zu unterminieren.
Die Kandidaturen Gersdorf und Kaufhold werfen in diesem Kontext Zweifel auf: Nicht, weil sie „links“ wären, sondern weil sie – zumindest nach außen – Positionen vertreten, die verfassungsrechtlich mangelhaft begründet oder gefährlich entgrenzt erscheinen.
Fazit
Die Richterbank des Bundesverfassungsgerichts darf kein Ort ideologischer Glaubenskämpfe oder normativer Ambitionen jenseits des Grundgesetzes sein. Sie muss Garantin einer vertraglich geordneten, rechtsstaatlich fundierten Gesellschaftsordnung bleiben. Die Kandidatinnen Gersdorf und Kaufhold haben Zweifel aufgeworfen, ob sie dieser Rolle in jeder Hinsicht gerecht werden können.
Zur rechtlichen Bewertung der Abtreibung: Eine notwendige Konkretisierung des Artikels 2 GG
1. Grundrechtlicher Ausgangspunkt
Artikel 2 Absatz 2 Satz 1 des Grundgesetzes garantiert:
„Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit.“
Diese Vorschrift schützt nicht nur das geborene Leben, sondern – nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts – auch das ungeborene menschliche Leben ab dem Zeitpunkt der Nidation (Einnistung in der Gebärmutter). Es handelt sich dabei nicht um ein bloßes moralisches Ideal, sondern um eine unmittelbar verfassungsrechtlich garantierte Rechtsposition.
2. Die Strafbarkeit des Schwangerschaftsabbruchs als verfassungsrechtliche Notwendigkeit
Die rechtliche Einordnung des Schwangerschaftsabbruchs im Strafrecht – konkret in § 218 StGB – ist keine politisch-ideologische Setzung, sondern eine notwendige Folge der Schutzpflicht des Staates für das ungeborene Leben. Das Bundesverfassungsgericht hat dies…