Nur Unbehagen oder doch schon ökonomische Angst?
- Martin Döhring
- 8. Dez. 2021
- 3 Min. Lesezeit
Angst beschleicht mich, wenn ich die Geldentwicklung in der Türkei beobachte. Angst, dies könnte auch bei uns so eintreten.
Die Türkei steckt gerade in einer äußerst misslichen Situation. Diese ist gekennzeichnet durch eine Hochzinspolitik von 15%, einer drastischen Abwertung der türkischen Lira gegenüber dem US Dollar bei gleichzeitiger Preissteigerungsrate von 20%. Als Ursache vermute ich eine übermäßige Staatsverschuldung.
Mir ist seit gestern auch irgendwie mein mir eigentlich innewohnender Sinn für Zynismus abhanden gekommen.
Gestern konnte ich den Medien folgende Informationen entnehmen: Der neue deutsche Bundeskanzler Olaf Scholz empfiehlt das Sparbuch.
Der Realzins beträgt jetzt -4,5% (von mir nicht überprüft).
Weiterhin behauptet ein „Experte“: „Derzeit gibt es gar keine Inflation“.
In meiner Argumentation unterscheide ich stets zwischen Inflation und Preissteigerung. Leider wird in den Medien fast immer die Preissteigerung oder Preissteigerungsrate mit der Inflation gleichgesetzt. Dies ist in meiner Sicht irreführend und auch falsch.
Inflation heißt übersetzt „Aufblähung“. Aufgebläht wird die Geldmenge seit Jahren durch die absichtliche Geldpolitik der Zentralbanken. Staatsschulden werden durch die Zentralbanken aufgekauft und vergrößern so die Geldmenge. Die Konsequenz ist dann häufig eine Preissteigerung.
Diesen Ankauf von Staatsanleihen durch Zentralbanken beschrieben Autoren in den 80er Jahren als monetäre Staatsfinanzierung („Gelddrucken“). Nach nationalen Gesetzen, aber auch nach EU Recht ist diese Praxis unzulässig, wenn gleich EU Richter in der Sache anders entschieden haben („ultra vires“ Akt).
In der aktuellen Situation sind etliche Staaten der Eurozone auf diese Geldpolitik angewiesen.
Im Januar wurde bezogen auf die Geldmenge der Eurozone eine Inflation von 12% für das Jahr 2020 festgestellt, dies ist natürlich die Preissteigerungsrate gemessen im Verbraucherbereich.
Früher, in D-Mark Zeiten, wurde freitags von der Deutschen Bundesbank die Geldmengen M1, M2 und M3 festgestellt. Am nächsten Tag konnte man dies in den deutschen Tageszeitungen lesen. Die Beobachtung der Geldmengen und ihre Entwicklung ist unserer Sicht seit Eurozeiten entschwunden.
Der neue Deutsche Bundeskanzler Olaf Scholz hat sicher Recht, wenn er das Sparbuch empfiehlt, weil so das Geld, die Ersparnisse sicher sind.
Das Ganze hat den Pferdefuß, dass der Sparer dann die Geldentwertung, den Kaufkraftschwund hinnehmen muss. Bleibt die Verschuldungsrate gleich, wird sein Geld auf dem Sparbuch jedes Jahr 12% weniger wert sein. Er ist damit Wohltäter, denn er finanziert die Euroländer.
In dieser Betrachtung ist der Realzins dann wohl eher -10% oder -12% als der angegebene Wert von nur -4,5%.
Im Prinzip ist derjenige, der sein Geld für Zins aus der Hand gibt, wie der Sparer, in dieser Hinsicht Gläubiger. Nur ist es beim Modus Sparbuch so, dass der Gläubiger den Schuldner bezahlt. Eigentlich eine Umkehrung des Schuldverhältnisses. Wenn man sein Geld zeitlich begrenzt aus der eigenen Verfügungsgewalt gibt, möchte man eigentlich dafür den Zins haben, damit es sich lohnt.
Diese aktuelle Geldpolitik führt zur Flucht in den Sachwert. Etliche Guthaben werden nicht als Geldguthaben geführt, sondern es werden Sachwerte, Kapitalanlagen wie Aktien damit erworben.
Daraus ergeben sich die Fehlentwicklungen, die an den Kapitalmärkten allgelegentlich zu beobachten sind, es entstehen „bubbles“, Spekulationsblasen.
Vor der Coronaseuche hat die EZB als Inflationsziel 1,9% ausgegeben. Man muss sich allerdings fragen, was die mit Inflation eigentlich meinen, die Ausdehnung der Geldmenge oder die Preissteigerungsrate im Konsumentenbereich?
Rechtlich ist nach Artikel 88 Grundgesetz die Notenbank, auch die EZB, verpflichtet, als vorrangiges Ziel die Preisstabilität zu betreiben. Wir erleben aber eher das Gegenteil in der Wirklichkeit.
Deutsche Banken dürfen an Schuldner kein Geld verleihen, wenn zu erwarten ist, dass der Schuldner seine diesbezüglichen Verpflichtungen nicht wird erfüllen können.
EU Artikel 123 untersagt die Schuldenfinanzierung durch die EZB. EU Artikel 127 schließt das Auskaufen („bail-out“) eines überschuldeten Euro-Mitglieds durch die EZB aus.
Wir befinden uns in einem reifen Markt. Aktien sind nach einer beispiellosen Hausse nicht mehr billig. Das KGV vom Börsenindex DAX beträgt mittlerweile wieder 15. Das internationale Shiller-KGV beträgt 38. Selbst Star-Investoren wie Warren Buffet halten aktuell ihr Pulver trocken.
Ich kann unerfahrenen Mitmenschen nicht mehr den Rat geben, einfach so zu Vermögenssicherung Aktien oder Fondsanteile zu kaufen. Es besteht vielleicht nicht so sehr die Gefahr eines Totalausfalles, aber Kurskorrekturen können nicht mehr ausgeschlossen werden.
There is no easy way out!
Die EU hat sich mit der EZB in gewisser Weise in eine Sackgasse hineinmanövriert. Mittlerweile fällt es schwer, von der vorgegebenen Geldpolitik abzuweichen oder sinnvolle Anpassungen vorzuschlagen.
Einerseits ist die Finanzierung der EU Staaten schon als absichtliches Ziel der EZB zu erkennen, anderseits muss die Wirtschaft lauffähig gehalten werden, um eine Tragfähigkeit des Ganzen zu gewährleisten.
Gestern hatte ich eine Sichtweise, die mir die Schattenseite dieser aktuellen Politik zeigte. Es besteht die Möglichkeit, eine Selbst- oder Eigenkannibalisierung des wirtschaftlichen Systems zu sehen, je nach Betrachtungsstandpunkt. Unter der Eigen-Kannibalisierung verstehe ich einen Vorgang des Selbstverzehrs ohne Steigerung des Mehrwerts, eine negative Bilanzentwicklung.
Möglicherweise wurde der Zeitpunkt zum Ausstieg aus der Politik des billigen Geldes verschlafen. Es könnte sein, dass restriktive Maßnahmen zu spät kommen und aktuell nicht opportun sind.
Der Schlüssel aus meiner Sicht ist nicht der Zins, sondern die Staatsverschuldung.
Ich finde Ampel keinesfalls vertrauenswürdig. Bei mir ist stets Angst, dass Ampel für meinesgleichen zu einer ökonomischen Katastrophe führen könnte.
Leitzins in der Türkei jetzt bei 30%
Wenn die Politiker wollen, können sie die Inflation und Preissteigerungen sofort stoppen.
Momentan läuft stellenweise etwas, was zu Fehlallokation von Geldmitteln führt. Eine Simulation geht von Preissteigerungsraten von 3 bis 6 % in den nächsten 3 bis 5 Jahren aus, diese könnte die zusätzliche Geldmenge aufsaugen . Doch ist nur eine These.
Let‘s face it: Leider treiben Inflation und Geldschwemme die Kurse bei Kapitalanlagen an. Schaue ich mir wichtige Indices an, so sieht es aus, als ob alle gleichzeitig durch die selbe Tür ins Freie wollen, oder sie kämpfen beim Untergang der Titanic alle um den einzigen Platz im Rettungsboot. Wichtige Charts zeigen in der Kursentwicklung einen blow-off.