Münchhausen und die Rose der Zigeuner
- Martin Döhring
- 10. Juni 2020
- 2 Min. Lesezeit
Eine mir nahestehende Person hat mir ein verstörendes Video aus den USA gezeigt. Dargestellt wird der Fall der „Gypsy Rose Blanchard“, übersetzt also Zigeunerrose.
Gypsy Rose Blanchard sitzt im Gefängnis wegen gemeinschaftlich verübten Mordes mit ihrem Freund zum Nachteil ihrer Mutter.
Ihren Freund hat sie übers Internet kennengelernt. Dieser hat sich mehr oder minder spontan zu der Tat hinreißen lassen, als er im Haus der Zigeunerrose, ihre Geschichte kennenlernte.
Die Mutter hatte ihre Tochter unter anderem gezwungen, im Rollstuhl zu sitzen. Oder es wurden ihr die Haare abrasiert, um eine Krebsbehandlung mit Chemotherapie vorzutäuschen.
Ein Schrank im Haus war voll mit Medikamenten, die die Mutter für die Tochter rezeptiert bekommen hatte.
Die Mutter ist jahrelang mit der Tochter von einem Arzt zum Arzt gegangen, jeweils mit den unterschiedlichsten Verdachtsdiagnosen.
Der Umwelt hat sie immer wieder von den schlimmen Erkrankungen ihrer Tochter berichtet, unter anderem auch, um Geld und Zuwendung zu erfahren.
Man nennt dies von-Münchhausen-Stellvertreter-Syndrom (MBP – Munchhausen by Proxy oder FDP factitious by proxy). Zwar ist einerseits deutlich eine Betrugs- und Täuschungshandlung seitens der Mutter gegeben, aber dennoch liegt eine psychiatrische Erkrankung der Mutter vor.
Dieses Krankheitsbild oder Delikt hat eine deutliche Geschlechtspreferenz weiblich.
Ich habe so etwas nur einmal selbst erlebt. Ist Jahrzehnte her und war eine deutsche Krankenschwester, die abwechselnd mal gerne ihre Kinder mit unterschiedlichen Verdachtsdiagnosen in die Universitätskliniken einweisen ließ. So weit mir bekannt, endete die Geschichte jeweils so, dass die untersuchenden Ärzte der Mutter mitteilten, sie haben keine Erkrankungen bei den Kindern feststellen können. Allerdings waren die Kinder mitunter Wochen stationär aufgenommen, und es wurde auch unter anderem Kernspintomographie Aufnahmen gemacht (MRT). Insgesamt tun sich Ärzte schwer, dieses von-Münchhausen-Stellvertreter-Syndrom zu diagnostizieren. Vielmehr sieht man sich genötigt, den Verdachtsdiagnosen nach zu gehen oder geht von einer übervorsichtigen Mutter aus. Die Aufklärung wird durch die ärztliche Schweigepflicht, aber durch juristische Bedenken häufig behindert.
Ähnliche Erkrankungen sind die ‚Wannabees‘, die sich ärztlich verstümmeln lassen, weil sie gerne behindert sein möchten oder so genannte Devotees, welche unbedingt Sex mit Behinderten haben möchten. Selten, aber gefährlich.
Eine gefährliche Idee: Gibt es ein Münchhausen-by-proxy auch bei Ärzten in Bezug auf Patienten oder gar Kollegen? So was wie „verhexen“? …oder bei Richtern, die Angeklagten mal einen Sachverhalt unterstellen?