Blitz- oder Wunderheilung – gibt es das?
Für den folgenden Fall verbürge ich mich. Es ist Jahre her und war am Anfang meiner „Karriere“. Wenn überhaupt war es Anfängerglück.
Aber ich beschreibe hier den unglaublichen Fall einer „Wunderheilung“, anders kann man das gar nicht beschreiben. Natürlich ohne Hokus Pokus oder Magie oder faulen Zauber.
Heilung in nur einer Stunde in einem nahezu aussichtslosen Fall?
Wohlan, dann will ich mal berichten.
Also, ich hatte gerade als blutjunger Arzt meine erste Stelle angetreten. In einer Augenarztpraxis.
Dort durfte ich nicht nur, sondern ich war sogar dazu gezwungen, Patienten alleine zu behandeln. Zu den vielen klassischen Fällen wie grauer oder grüner Star, Kontaktlinsenanpassung oder Brillenbestimmung kamen immer auch mal wieder einige Patienten mit eher exotischen Erkrankungen zu mir. Dafür war ich dankbar, denn so werde ich auch heute noch regelmäßig aus der Routine heraus gerissen.
Es war an einem Nachmittag, relativ gutes Wetter, nicht besonders viel los. Vielleicht gerade in der Ferienzeit, wo alle im Urlaub sind. Kommt also ein noch junger Mann von vielleicht maximal 40 Jahren bei mir rein und fängt an zu erzählen.
Seine Lebensgeschichte. Nun, ich war gutmütig und habe ich gewähren lassen. Im Hochbetrieb hätte ich sicher bald die Reißleine gezogen und auf augenärztliche Untersuchungstechniken wie Sehkraftbestimmung oder Augeninnendruckmessung gedrängt.
Ich ließ ihn jedoch reden. Und er redete.
Über seine Kindheit.
Seine Heroinsucht.
Er offenbarte sich mir als Heroinsüchtiger.
Fragen durfte ich nicht stellen. Er redete einfach. Und ich hörte zu.
Er wollte mir unbedingt von Freud erzählen.
Von dem bekannten Sigmund Freud und über die Psychoanalyse.
Und über den bekannten Ödipuskomplex.
Den zentralen Baustein der Lehre Freuds.
In der klassischen Tragödie nach Sophokles (‚oidipus rex‘) ermordete Ödipus seinen Vater um seine Mutter zur Frau nehmen zu können. Dies ist klassisches Repertoire, nicht nur der Psychoanalyse, sondern auch im Abitur Leistungskurs Germanistik, so wie „Antigone“ oder Thomas Mann.
Das Ganze hat dann wohl so eine Stunde gedauert.
Dann sagte er mir, nun er hätte sich jetzt nun mit seinem Vater versöhnt.
Er war absolut entspannt und friedlich.
Er sagte zu mir : „Nun bin ich nicht mehr heroinsüchtig. Sie haben mich geheilt. Danke Herr Doktor!“
Er schüttelte mir die Hand und ging.
Ja, und damit war dann diese Behandlungsepisode zu Ende.
Nach etwa einer Stunde. Und ich war reichlich perplex.
Seltsam? Nun, hat sich aber so abgespielt.
Notabene: Bei Frauen gibt’s den Ödipuskomplex auch. Der heißt dann „Elektra“. Ist auch eine klassische Tragödie. Es handelt sich dabei nach Freud um „Penisneid“.
Martin Döhring
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